"Schaumweinmärchen feat. Pisse" im objekt klein a - ein postmoderner Theaterrave zwischen neonfarbiger Popkultur und Punkparollen in pastell
Am Freitag, dem 21.04.2023, erlebte ich in meinem Lieblingsclub, dem objekt klein a, ein theatralisches Korkenknallen der Extraklasse: "Schaumweinmärchen feat. Pisse". Als mittlerweile nunmehr Gelegenheits-Raver wurde ich von einer Nostalgiewelle, die mich überrollte wie ein fast vergessener MDMA-Rausch, erfasst und tauchte ein in die skurrile, aber fesselnd authentische Geschichte von Mora und Christian – ein Liebespaar, das durch die Szenerie eines ostdeutschen Techno-Schuppens zieht.
Das brettzarte Bühnenbömbchen in Neonfarben und Pastell entfaltet sich in sieben szenischen Episoden und konfrontiert das Paar mit den prekären Sachzwängen Subkulturschaffender Mitdreißiger: Mieterhöhungen, Existenzängste und ein verführerisches Angebot eines Getränkegiganten, der den legendären "Beauty-Sekt" des Clubs kommerzialisieren und gewinnmaximierend vermarkten will. Während Christian, der sweete Freund und Influencer-Überflieger, die Chance sieht, den finanziellen Abgrund des Clubs in einer Erfolgsstory zu wenden und selbst Star der Kampagne zu werden, stemmt sich die Idealistin, Mora, gegen den Verkauf des subkulturellen Club-Charmes an eine neoliberale Kapitalismusmaschine.
Im Verlauf des Stücks quälen Mora rektale Schmerzen, die sie zunächst für Hämorrhoiden hält, sich jedoch später als metaphorische Gewissenskolik in Form des wortwörtlichen "Stocks im Arsch" entpuppen. Dazu kommentieren zwei Erzählkoryphäen, die an Goethes Mephisto und ein mütterliches Realitätskonstrukt erinnern, die Entwicklungen und drängen Mora, sich diesen Stock endlich aus dem Arsch zu ziehen und erwachsen zu werden.
"Schaumweinmärchen feat. Pisse" ist eine pop-ige Inszenierung und eloquenter Punk par excellence. Das Stück ist gespickt mit Samples aus Werbung, Social-Media und Sozialwissenschaft und ballert Symbole der Systemkritik ins Publikum auf einer Rückgratwanderung zwischen Lachkrampf und Kopfschütteln. Alle am Stück Beteiligten brillieren und haben den zentralen Konflikt unserer Zeit in ein umwerfend schrulliges Bühnenspektakel verwandelt, das sowohl für Szenekenner als auch Mainstream-Theatergänger ein nicer Trip ist. Zwischen den Szenen werden die Erlebnisse von Pisse, DER ostdeutschen Punkband, musikalisch zusammengefasst und erhalten somit eine weitere Ebene illustrer Irrsinnigkeiten.
Insgesamt ist "Schaumweinmärchen feat. Pisse" ein wahnsinnig komplexes und angemessen überladenes Stück Musiktheater, das das Potenzial hat, zum Klassiker und deutschlandweiten Kassenschlager – wenn es nur den nötigen Mumm (mit Saft) dafür hätte! Ein absolutes Muss und uneingeschränkte Empfehlung für alle, die bereit sind, noch nicht aufzugeben und sich auf diese skurrile Tiefsinnigkeit und zugleich selbstironische Odyssee im postmodernen Club-Kontext einzulassen. "C'est genial!"