Im schwarzen, von Absorbern gesäumten Saal, der Blick auf den Rolls Royce der Soundsysteme, sitzen wir im Lambda-Labs-Referenzraum, mitten auf dem Dancefloor namens groß A. Der DJ, rechts von unseren Stühlen, mit Sturmhaube hinter dem Pult, heißt John Meckel DJ. Davor Vera: Vera tanzt — die ganze Zeit, sie ist nur zum Tanzen hergekommen. Wie sich hinterher herausstellt, war sie die Person, die Struktur in die Proben brachte, Vieles ermöglichte.
Alle, die hier schauspielern, tanzen, den Ton und das Licht mischen, Regie führen, gehören hierher. Ein Lai:innentheater mit Profis der Nacht, absolut authentisch. Vera tanzt, Mieze betritt die Bühne, zufällig: „Ist das hier schon das Stück? Das ist ja schon das Stück! Dann fangen wir mal an.“, als Erzähler rahmt er den Abend bzw. die Nacht. Klubnacht, einfach nur eine Klubnacht. Der Erzähler hat das Drehbuch geschrieben, ein weiteres Stück ist schon in Arbeit. Ein Theaterstück in einer Feierkirche, zweimal in Eigenregie aufgeführt, am Ort des Geschehens vor der Kulisse des Reigens der Nacht.
Das objekt klein a – der neue Stern am Clubhimmel Dresdens, der einerseits während Corona ein Schattendasein fristet, sich andererseits neu erfindet, jetzt Kulturförderung erhält und die Zukunft der Clubkultur erforscht, indem neue Sparten erschlossen und kombiniert werden. Art meets Club Culture. Auf Augenhöhe mit Hochkultur.
Luise und Christian, die Hauptdarsteller:innen, betreten turtelnd die Bühne. Der Erzähler spricht weiter: „Dabei ist der Club vor allem auch ein Ort der Besinnung, der Kontemplation, des Gesprächs. Man begegnet Gleichgesinnten verschiedenster Farbe, Form und Gesinnung, man trifft Freundinnen, man trifft Spinner, man trifft Hinz und Kunz. Man wundert sich mitunter, wen man alles trifft – und wen nicht. Jedenfalls ist ein guter Club als gesellschaftliche Institution am ehesten der griechischen Agora zu vergleichen: Der zentrale Fest-, Versammlungs- und Marktplatz der Kreativszene der Stadt, aus der heraus er entstanden ist.“
Das Bühnenbild besteht aus einem Sofa und einer Videoprojektion live vom zweiten Floor, dem klein a, dem Barraum, wo allerlei skurrile Situationen permanent das pittoreske Bühnengeschehen auflockern. Das Publikum kann partizipativ über eine Feedback-App (installiert von Lisa Maria Baier) interaktiv und in Echtzeit Lob oder Kritik geben. Das Personal der Klubnacht tritt auf und ab, die Figuren begegnen sich und tanzen mit ihren Worten oder Körpern um- und miteinander.
Selbstkritisch und witzig inszeniert sind die Dialoge. Clubkultur stellt sich im Gespräch dar und hinterfragt sich dabei selbst,. Ein Typ, der eine Frau mit seinem wahnsinnig spannenden Ambient-Projekt langweilt. Die Frau, die ihre Trennungsgeschichte einem in anderen Welten verkehrenden Individuum darlegt. Seine Reaktion: witzig. Aus der Affäre zieht er sich gekonnt mit dem Angebot: „Schnaps, dann Tanzen?“. Der Situationswitz, Wortwitz ist derart treffend, dass Clubgänger:innen sich lächelnd selbst wiederfinden oder teilweise beschämt zu Boden blicken, wenn wichtige verdrängte Diskurse auf den Tisch gehoben werden.
Zweieinhalb Stunden schafft es das Stück immer wieder neue Inspirationen zu entfalten. Wir treiben durch die Nacht. Immer pulst der Techno mit, Vera tanzt, es wird treibend, der Sound kräftig. Plötzlich sind wir richtig drin, die Klubnacht läuft, kongenial beschallt von John Meckel DJ, mit der Sturmhaube auf dem Kopf als Reminiszenz an die alten Helden von Underground Resistance.
Pointiert, bisweilen dadaistisch führen die Gespräche zu allem und Nichts. Über Vieles wird nachgedacht, über das Posen, die Bedürftigkeit, die männliche Selbstdarstellung, den Substanzkonsum, das Selbstverständnis einer Subkultur — ist das eigentlich schon Politik? Beeindruckend, was das Stück so hergibt, es zeugt von höchstem Niveau an Selbstreflexion und Infragestellung. Clubkultur zeigt sich verletzlich. Ihr Zauber und ihre innere Welt, die deep ist. In einem Club werden Weltbilder verhandelt. Die Kreativszene feiert sich selbst, vernetzt sich, erholt sich und lässt den Eros fliegen. Die Klubnacht zeigt, wie verwundbar und schön solche Orte sind. Wo die beiden Stereotype Luise und Christian sich treffen, sich zeigen, wie sie sind — und wie banal zauberhaft genau das ist und sich ewig wiederholen kann, wenn diese Orte existieren dürfen.
Puff, die Idylle ist vorbei, der Security unterbricht die Tanzenden in Rausch. „Hier wird nicht getanzt! Mach die Kippe aus! Hinsetzen!“. Kurz sind die Zuschauer:innen geschockt. Immer wieder überraschen die Szenen, ein Wechselbad der Gefühle. Plötzlich ist ein unverarbeiteter Suizid eines guten Freundes im Raum. Nächster Bruch, der grandiose Abschluss wird von Gott persönlich gewährleistet: Gott ist eine PoC und lacht sich über die weiße Mittelschicht kaputt, die sich selbstbezüglich feiert: “Oooh, meine Beziehung ist kaputt, oooooh, ich kann nicht tanzen, weil ich ein Mann bin, oooooh, ich weiß nicht, wie man ein Theaterstück schreibt, blablabla. Ihr mit euren ausgedachten Problemen, ey.”
Beeindruckt bleiben wir zurück. Erinnert daran, was Probleme sind, Flucht und Vertreibung, Tod und Verzweiflung. Erinnert daran, was wir hier haben, wertvolle Kultur, Ort der gelebten, magischen Heterotopien. Menschen, die sich ein öffentliches Zuhause schaffen, eine „Autobahnkirche für Trinker und Träumer“. Das objekt klein a, ein Ding, das nach dem französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan wesenhaft unerreichbar ist. Der Abend floss wie ein Stream of Consciuosness zirkulierend, treibend, fordernd, repetitiv und doch immer neu und immersiv, bis das gesamte Publikum mit Standing Ovations seine Begeisterung auf die erleichterten, endlich entspannten Gesichter der Akteure der Klubnacht übertrug.
(Die Aufführungen fanden am 30. und 31.7.21 im objekt klein a statt, weitere Aufführungen sind in Dresden vorerst nicht geplant, am 18.9. findet jedoch vermutlich ein Gastspiel in Bremen statt.)
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Anmerkung zum Autor
Sascha Möckel ist seit seiner ersten Technoparty 1998 ein Clubgänger, hat zwanzig Jahre lang selbst Veranstaltungen organisiert und sich einige Jahre in der Lobbyarbeit für Clubkultur stark gemacht. Er war im Team der Tolerade und hat daran mitgearbeitet, die Sperrstunde in Dresden abzuschaffen. Er ist kein Theaterkritiker und die fehlende Distanz ist mit der Nähe zur Szene zu begründen — und hoffentlich zu entschuldigen.