Die Skeptiker
Zu seinem 60. Geburtstag begibt sich Eugen Balanskat auf eine besondere Tour mit seiner legendären Punkband Die Skeptiker. Nicht zuletzt ein Anlass, einen Blick auf eine der ganz großen deutschen Underground-Geschichten zu werfen.
Woran bemisst man ein erfolgreiches, ein gelungenes Leben? An Auto, Eigenheim, Karriere? Wohl kaum, jedenfalls nicht nur. Was aber sind dann die Dinge, die am Ende wirklich zählen? Nehmen wir Eugen Balanskat. Nach gesellschaftlichen Maßstäben ist der Mann eine Niete: unehrenhaft aus der Volksarmee der DDR entlassen, seit 40 Jahren Führerscheininhaber ohne Fahrpraxis, gelernter Instandshaltungsmechaniker und Buchhändler, in beiden Berufen arbeitet er nicht mehr.
Ein kommerziell gescheiterter Punkmusiker, linker Querulant und Gelegenheits-Jobber: Ungefähr so würde man die Vita des Sängers der legendären Ost-Punkband Die Skeptiker nach bürgerlichen Maßstäben vermutlich zusammenfassen – und alleine daran erkennt man bereits, wie wenig diese Maßstäbe geeignet sind, die Vielfalt und Tiefe eines künstlerischen Lebens zu durchdringen.
Denn in Wahrheit ist der Texter und Sänger Eugen Balanskat, der im Februar dieses Jahres erstaunliche 60 Jahre alt geworden ist, und dessen Stimme, Kraft und Energie doch immer noch die eines jungen Mannes sein könnten, natürlich: ein Phänomen. Er hat sein Leben lang und bis heute harte körperliche Arbeit verrichtet, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die Musik ist gewissermaßen ein Hobby geblieben, der Erfolg einstiger Weggefährten wie Feeling B war Balanskat nicht beschieden. Wenn man den Katalog der Skeptiker noch einmal durchhört: man versteht es nicht ... und doch sofort.
Denn Eugen Balanskat ist auch ein Mann, der in keine Schablone passt. Durch Messe- und Veranstaltungsbau ist er stets unabhängig geblieben. In den Neunzigerjahren wurden ihm von Neonazis die Zähne eingeschlagen, „Deutschland, halt’s Maul“ singt er bis heute. Er ist ein Mann, den Freunde und Bandkollegen als absolut zuverlässig, loyal bis ins Mark, gewissenhaft und bescheiden beschreiben, der aber auch bisweilen aus der Haut fahren kann. Der seit seiner frühesten Jugend Gedichte schreibt, weil er vermutlich verrückt werden würde, schriebe er sie nicht. Der sich niemals mit der Stasi eingelassen hat, dem es um Wahrheit und Gerechtigkeit geht.
Eugen Balanskat ist mehr als alles andere: eine der prägnanten und wichtigen, ganz sicher zu wenig besungenen Figuren der Nicht-nur-Punk-Geschichte. Blicken wir einen Moment zurück.
Es waren die mittleren Achtzigerjahre, die letzten Tage der DDR. In Ostberlin hatte sich ein musikalischer Underground entwickelt, dessen Einflüsse bis heute reichen. Gruppen wie Sandow, Die Art, Feeling B, Tausend Tonnen Obst – und eben die 1986 von Eugen Balanskat gegründeten Skeptiker – waren die sogenannten anderen Bands. An dieser Stelle müssen wir ausnahmsweise die Wikipedia zitieren: „Der Punkrock der Band“, so steht es dort, „war schwer mit dem sozialistischen Realismus vereinbar.“ So könnte man es vielleicht ausdrücken, weil der Punkrock der Skeptiker mit überhaupt keinem politischen System vereinbar ist, sonst wären es nicht die Skeptiker.
Die frühe Besetzung der Band löste sich im Wendejahr 1990 sukzessiv auf, doch Balanskat machte mit wechselnden Musikern immer weiter, bis heute. Die musikalisch wichtigste Zeit der Band fiel in diesen Zeitraum: Insbesondere mit „Harte Zeiten“ und „Sauerei“ gelang ihnen der etwas andere Soundtrack zur Wiedervereinigung. Alben, auf denen Balanskat auf prophetische Weise Bedenken angesichts eines Re-Erstarkens deutscher Überlegenheitsgefühle formulierte.
Doch Balanskat passte nicht nur nicht zu DDR und BRD, er schien auch sonst in keine Schublade zu passen. Es liegt an ihm, dass man Die Skeptiker zwar jederzeit als Punk-Band, aber wiederum nicht als typische Deutsch-Polit-Punkband beschreiben würde. Brecht, Weil, der Schlager der Zwanzigerjahre und die Dadaisten sind für ihn vermutlich mindestens ebenso wichtig wie die Dead Kennedys oder Sex Pistole. Man höre sich nur seine Interpretationen klassischer deutscher Chansons der Zwanziger- und Dreißigerjahre an, etwa „Ein Lied geht um die Welt“ aus dem Album „Schwarze Boten“ oder auch die Sachen, die er in einer Skeptiker-Pause um die Jahrtausendwende mit der Band Rotorfon aufnahm.
All das und noch viel mehr liegt in der Kraft seiner Stimme, die im Grunde mit nichts vergleichbar ist. Ähnlich wie Jello Biafra und Johnny Rotten ist Balanskat ein Meister des dramaturgisch perfekt eingesetzten Zitter-Tremolos, ähnlich wie diese zeichnen sich auch Die Skeptiker durch eine ausgewiesene Pop-Sensibilität aus, dieser Band gelangen immer wieder echte Hits.
Im Gegensatz zum Punk-Klischee ist Eugen Balanskat allerdings kein No-Future-Apologet, kein Misanthrop und kein Zyniker. Zur punktypischen Wut und dem Zorn auf die herrschenden Verhältnisse kommt bei ihm eine beinahe zärtliche Sehnsucht nach Gerechtigkeit hinzu, die man zumindest im deutschen Punk kein zweites Mal findet. Niemals hat man diesen Man grölen oder schreien gehört, seine Stimme schwebt stets von aller Schwerkraft befreit über den Dingen. Eugen Balanskat geht es nicht um Hass, denn eigentlich ist er natürlich Humanist.
Allerdings einer – ein weiterer Bruch mit Erwartungen und Klischees – der optisch im meist schwarzen Gewand eines existenzialistischen Dandys daherkommt. Punk, so hat er einmal gesagt, sei für ihn nicht mit Äußerlichkeiten verbunden, sondern eine Haltung, ein Lebensgefühl – zu dem es dann gehöre, Machtverhältnisse zu hinterfragen – grundsätzlich, immer.
Balanskat ist also Idealist, kein Ideologe. Trotzdem – ein weiterer Widerspruch – ist er auch ein Meister der Parolen und insofern einer, an den man denken könnte, wenn es in diesen Tagen häufig heißt, es bräuchte einen linken Populismus, um dem rechten etwas entgegenzusetzen. Indes: Der Skeptiker ist ein nüchterner Beobachter. Er braucht die Perspektive von außen, irgendwo mitzumarschieren mindert seine Urteilsfähigkeit.
Am 15. Februar 2019 ist dieser Eugen Balanskat nun sechzig Jahre alt geworden, aber wenn man das aktuelle Skeptiker-Album „Kein Weg zu weit“ von 2018 noch einmal auflegt, klingt es frisch und absolut im Hier und Jetzt verankert. Es ist eins der besten Alben dieser aus unerfindlichen Gründen dauerhaft in der Nische angesiedelten Karriere.
Und nun kommt also der große Herbst des Eugen Balanskat und seiner Skeptiker: Von Ende Oktober bis Ende Dezember begibt sich die Band anlässlich des runden Geburtstags auf eine besondere Tour. Zeitgleich erscheint nun auch endlich ein Band mit einigen der Gedichte, die Balanskat ergänzend zu seinen Liedtexten stets schrieb und schreibt: „Innenfrost“ – 60 Gedichte zu 60 Jahren Balanskat – erscheint im November 2019, außerdem gibt es eine neue Single, für die Balanskat gemeinsam mit Jerome von ROME eine Neuinterpretation des Skeptiker-Klassikers „Hinter den Mauern der Stadt“ eingespielt hat.
Eugen Balanskat und die Skeptiker sind also nicht nur eine Band mit einer beeindruckenden Geschichte, sondern auch mit einer überaus inspirierenden Gegenwart. Und dieser begegnet man am besten auf der Straße, wo auch sonst? Wir sehen uns im Spätherbst!