19:00
10. Mai
( Kunst )
Anchor
  • Mylasher & Marie Jeschke
  • Eintritt frei
Anchor I live by the ocean And during the night I dive into it Down to the bottom Underneath all currents And drop my anchor As this is where I’m staying This is my home

Björk Guðmundsdóttir [ˈpjœr̥k ˈkvʏðmʏntsˌtoʊhtɪr], 1993

Mylasher und Marie Jeschke zeigen ihre Ausstellung Anchor vom 10.–19. Mai 2024 im C.Rockefeller Center Dresden. Den Anker setzen beide an ungewohnten Orten – auf der Suche nach neuen Gesichtern von Natur, begeben sie sich in eine intensive Auseinandersetzung mit der sie umgebenden Umwelt. Oft arbeiten sie im Freien und tasten malerisch und skulptural ihre Umgebung ab und gehen dabei Ko-Autorinnenschaft mit der eigenen Umwelt ein. Sie laden uns zum Eintauchen in eine bekannt geglaubte und nun neu künstlerisch übersetzte Umgebung ein. Wir blicken aus der Perspektive nicht-menschlicher Agent*innen, sozusagen bottom-up vom Meeresgrund aus, auf unser planetares Zuhause. Beide Künstlerinnen präsentieren eine neue Serie an Arbeiten und verorten sich gleichzeitig in einem für sie neuen Medium. Mylasher lebt und arbeitet in Leipzig, Jeschke in Berlin. 

Mittig im Ausstellungsraum steht eine Art Gate, auf dem Mylasher einige Arbeiten der Serie Moonage Daydream präsentiert. Die Serie  besteht aus 40 glasierten Keramikgefäßen und ist 2023/24 entstanden. Während des Arbeitsprozesses stehen für die Künstlerin Transformation und der Prozess als solcher im Vordergrund. Hierbei ist Mylasher in besonderen Umgebungen tätig – wie im Wald, im Fluss oder im Eis. In der intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt mit allen Sinnen, fließen die Elemente der Umgebung in den Prozess ein und die Künstlerin begibt sich in einen Schwellenzustand zwischen Realität und Unterbewusstsein, zwischen dem Außen und Innen. Die Gefäße sind eine Art Tor zu einer sprachlich nicht erfassbaren Welt. Hier, um ein Portal herum inszeniert, laden sie zu der Frage ein, was uns beim Durchschreiten des Portals auf der anderen Seite erwartet. Sie erzählen die Geschichten von künstlerischer Intuition und von der Verbindung zur Natur, aber auch von den kleinen Wesen, die sie beleben. Sind es Tiere oder Fabelwesen? Befinden sie sich in der Natur oder in einer Traumwelt? Mylashers Keramiken verhandeln auf eine poetische Weise das Zusammenspiel von Objekten und Materialien, Gedanken und Phantasie sowie dem menschlichen Körper als Medium und fragen danach, was es bedeutet, den Anker an einer Schnittstelle zwischen verschiedenen Welten zu setzen.

Es braucht einen tatsächlichen Anker, damit Marie Jeschke mit ihrer Leinwand Unterwasser malen kann und nicht durch den Auftrieb nach oben geschwemmt wird. Auf Basis künstlerischer Experimente hat sie eine Methode entwickelt, um unter Wasser malen zu können. Mit um den Körper gebundenen Farbtöpfen steigt sie ins Wasser hinab und wird dabei, genau wie ihre Leinwand, von Tauchgürteln gehalten. Die speziell präparierte Farbe, vermischt mit Leinöl, Pigmenten, Sand und Asche, trägt die Künstlerin direkt ohne weitere Hilfsmitteln auf die Leinwand auf. Nach und nach erkundet sie dabei unterschiedliche Gewässer und ihre Identität. Für die Serie 1. Mai war sie in Berliner und Brandenburger Gewässern unterwegs. Der Titel verweist auf die von der Künstlerin erlebte Ambivalenz zwischen dem ersten Mai als Tag des Anbadens in ihrer Kernfamilie und somit dem Start der Segel- und Freiheitssaison auf dem Wasser und dem Tag der Arbeit als Symbol für ein DDR-Regime, das seine autoritären Fühler auf dem Festland immer weiter ausstreckte. Für Ungeheuer unten warf Marie bei tiefster Kälte in der Spree in Berlin-Schöneweide ihren Anker. Ihre Malereien bleiben stets abstrakt, deuten aber figurative Gebilde an. Sie erinnern an bildgebende Verfahren aus der Medizin, an Röntgenaufnahmen von Brustkörben etwa. Vielleicht trennt uns nur die Fähigkeit, unter Wasser atmen zu können, von einem Leben tief im Meer. Die runden Formen zeugen gleichzeitig von nicht-menschlichen Agent*innen, die in einer parallelen planetaren Welt hausen.
(Text: Kira Dell & Laura Seidel)
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